Big Brother am Arbeitsplatz

Die Überwachung von Mitarbeitendem am Arbeitsplatz ist weit verbreitet. Was du darüber wissen musst.

Als Gymi-Schüler füllte ich vor über 40 Jahren an einem Fliessband Suppengemüse ab. In der Pause rechnete mir der Betriebsleiter vor, wieviele Kartons ich seiner Meinung nach mehr hätte füllen müssen. Er hatte mich die ganze Zeit beobachtet – meine erste und meines Wissens einzige Erfahrung mit Überwachung am Arbeitsplatz.

Digitalisierung verleiht der Überwachung Flügel

Was damals quasi noch von Hand gemacht werden musste, geht heute dank der Digitalisierung bequemer und eleganter mit technischen Hilfsmitteln. Zum Einsatz kommen Videokameras, Mikrofone, GPS-Systeme und immer häufiger Spionagesoftware auf Geschäfts-PCs oder -Handys. Aber auch Telefonanlagen mit Abhör- und Aufzeichnungsfunktionen, Fotokopierer mit Dokumentenspeicher oder sogar das Office-Programm von Microsoft ermöglichen eine Überwachung.

Laut dem Marktforscher Gartner setzte 2018 mehr als die Hälfte der grossen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 750 Millionen Dollar «nicht traditionelle» Methoden zur Überwachung ihrer Mitarbeitenden ein. Anfang 2020 gaben gut 16 Prozent der Arbeitgeber an, Monitoring-Techniken häufiger zu verwenden als zuvor. Darunter fallen u.a. Tracking der Nutzung des Arbeitscomputers und die Überwachung von E-Mails und internen Chat-Programmen. Laut Gartner stieg deren Gebrauch im Covid-Jahr 2020 auf 26 Prozent. Die Zunahme hat wohl damit zu tun, dass viele Chefinnen und Chefs genauer wissen wollten, was ihre Angestellten im Home-Office tun.

Überwachung für mehr Leistung

Warum Betriebe ihre Angestellten überwachen, lässt sich am Beispiel Amazon aufzeigen. Die Scanner, die Angestellte in Amazon-Lagern für ihre Arbeit brauchen, protokollieren jede Minute «Time off Task» (Unproduktivität). Angestellte, die viel davon haben, müssen sich nicht nur dafür rechtfertigen, sie müssen auch mit Konsequenzen bis zu einer Entlassung rechnen.

Ähnliches kommt offenbar in London bei Banken zum Einsatz – geliefert vom Beratungsunternehmen PwC. Eine Gesichtserkennungssoftware überwacht die Banker über die Computer-Kamera und verlangt bei einer Bildschirm-Absenz nach einer schriftlichen Begründung. «Die Technologie dient den Finanzinstituten, die strikten Compliance-Regeln auch für Mitarbeitende im Homeoffice einhalten zu können», sagte George Stylianides von PwC in London gegenüber Financial News. Nur dafür? Sie eignet sich doch perfekt zur Überwachung.

Bei Amazon ist belegt, dass die Überwachungsdaten eingesetzt wurden, um die Angestellten zu mehr Leistung anzutreiben. Davon versprechen sich die Unternehmen mehr Produktivität und Gewinn. Dies dürfte für viele der hauptsächliche Grund sein, Mitarbeitenden zu überwachen.

Verhalten von Mitarbeitenden darf nicht überwacht werden

Hätte mich der Chef im Gemüsebetrieb überhaupt überwachen dürfen? Dürfte Amazon auch in der Schweiz die Mussezeit erfassen? Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte EDÖB weiss Bescheid: «Die zulässige Überwachung von Arbeitnehmern findet ihre Grenzen im Persönlichkeitsschutz und im Datenschutzrecht sowie in zwingenden Bestimmungen des Arbeitsrechts» steht auf dessen Website. Die Persönlichkeit der Arbeitnehmenden sei zu achten und zu schützen und auf deren Gesundheit sei gebührend Rücksicht zu nehmen».

Konkret bedeutet das: Das Verhalten von Angestellten darf nicht überwacht werden. Das Verbot ist allerdings relativ: «Überwachungs- oder Kontrollsysteme am Arbeitsplatz sind ausnahmsweise zulässig, wenn die Überwachung aus anderen Gründen erfolgt.»

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

Rechnet es sich für Arbeitgeber, die Angestellten zu überwachen? Sind die Angestellten deswegen produktiver? Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Die österreichische Zeitung «Der Standard» zitiert einen Versuch eines Ökonomen des Massachusetts Institute of Technology, der einen solchen Effekt belegt. Zahlreiche andere Studien kämen aber zum gegenteiligen Schluss. Nämlich, «dass Überwachung am Arbeitsplatz den Stress erhöht und die Jobzufriedenheit senkt», was der Produktivität abträglich ist.

Ob die Überwachung Mitarbeitende antreibt oder lähmt, dürfte stark davon abhängen, in welcher Arbeitskultur man lebt. Arbeitet man in einer chinesischen Fabrik, wird man sich der Überwachung wohl oder übel unterwerfen und sein Bestes geben. Bekleidet man einen Job mit viel Verantwortung und komplexen Aufgaben in einem Schweizer Unternehmen, wird man sich nicht überwachen lassen wollen.

Letztlich ist die Überwachung von Mitarbeitenden eine Frage des Vertrauens zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden. Eine Firmenkultur des Vertrauens zu schaffen ist die bessere Strategie als mit einem Überwachungsapparat Misstrauen zu schüren.

Autor*in

Hansjörg Schmid

Hansjörg Schmid

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