Es braucht neue Lösungen für den Fachkräftemangel

Der Schweiz fehlen Hunderttausende von Fachkräften. Für einen attraktiven und innovativen Wirtschaftsstandort braucht es eine Weiterbildungsoffensive. Und neue Anreize, damit mehr Arbeitskräfte im Arbeitsprozess bleiben.

Seit Monaten wächst die Zahl der offenen Stellen in der Schweiz. Im Oktober 2022 hatte das Arbeitsmarktdaten-Unternehmens x28 über 260'000 Vakanzen erfasst. Gleichzeitig fehlen immer mehr qualifizierte Arbeitskräfte: Der von Adecco und der Uni Zürich publizierte Fachkräftemangel-Index erreichte Ende 2022 den höchsten je registrierten Wert.

Weshalb fehlen so viele qualifizierte Arbeitskräfte? Das lässt sich nicht allein mit der raschen wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Pandemie erklären. Denn der Fachkräftemangel-Index liegt deutlich über dem Wert, der 2019 vor der Pandemie erreicht wurde.

Es liegt daran, dass seit 2019 mehr Menschen in Pension gehen als junge nachrücken. Und wegen den geburtenstarken Babyboomern, die nun ins Rentenalter kommen, wird der Fachkräftemangel über die nächsten Jahre weiter zunehmen. So rechnet der Personalvermittler Dynajobs damit, dass bis 2025 schweizweit 365’000 Fachkräfte fehlen.

Neue Lösungen gesucht

Bisher haben viele Schweizer Unternehmen fehlende Fachkräfte aus dem Ausland rekrutiert. Doch dies funktioniert nicht mehr, denn diese werden auch in anderen Ländern dringend benötigt.

Soll dem Fachkräftemangel wirksam begegnet werden, darf es keine Tabus geben. Was es braucht, sind neue Lösungen. Drei Ansatzpunkte drängen sich auf:

  • eine Weiterbildungsoffensive
  • Höhere Entschädigungen für die Fremdbetreuung von Kindern
  • Anreize für ältere Arbeitnehmende, im Arbeitsprozess zu bleiben, unter Umständen auch über das Rentenalter hinaus.

Weiterbildungsoffensive

Die Schweiz muss die verfügbaren personellen Ressourcen besser einsetzen. Das heisst, die Fähigkeiten der Arbeitskräfte müssen gezielt auf die Anforderungen der Unternehmen und Organisationen abgestimmt werden. Um das zu erreichen, braucht es eine Weiterbildungsoffensive.

Den Arbeitnehmenden eröffnen sich dadurch neue Chancen. Upskilling heisst das Konzept: Wenn du dich stetig weiterbildest und lebenslang lernst, kommst du beruflich weiter. Du kannst die Anforderungen der neuen Arbeitswelt besser bewältigen, wenn du neue Kompetenzen erworben hast, gerade im digitalen Bereich.

Das tut Angestellte Schweiz

Wir haben deshalb schon 2021 den Career-Booster lanciert. Damit stellen wir allen unseren Mitgliedern ein Werkzeug zur Verfügung, das auf ihre individuelle Situation eingeht: Die Software führt Ansprüche und Bedürfnisse von Arbeitsmarkt und Angestellten optimal zusammen. Sie basiert auf Matching-Technologie und künstlicher Intelligenz.

Auch die Arbeitgeber sind gefordert. Denn nach wie vor investieren Unternehmen zu wenig in die Weiterbildung ihrer Angestellten. Das sagen nicht nur unabhängige Fachleute, zu diesem Schluss kommen die Firmen selbst. Sechs von zehn HR-Verantwortlichen, die vom Outplacement-Anbieter Rundstedt für den Bericht «Fachkräftemangel in der Schweiz» befragt wurden, erkennen bei Weiterbildungen ein Defizit.

Fremdbetreuung von Kindern finanzieren

Die Kosten für die Kinderbetreuung sind in der Schweiz aussergewöhnlich hoch. Das führt dazu, dass ein zweites Einkommen oder ein grösseres Pensum für viele Paare mit kleinen Kindern nicht attraktiv sind. Denn die Ausgaben für die Kinderbetreuung fressen das zusätzliche Einkommen auf. Warum ist das so? Bei uns gibt die öffentliche Hand deutlicher weniger Geld für Kitas und Tagesfamilien ausgibt als in anderen Ländern.

Es fehlt nicht an Lösungen, die Erwerbsquote gerade von weiblichen Arbeitskräften zu verbessern. Familien sollen die Betreuungskosten auf Bundes- und Kantonsebene von den Steuern abziehen dürfen. Es soll einen gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz geben. Oder ein staatlicher Fonds wird geschaffen, aus dem ein Grossteil der Betreuungskosten bezahlt wird.

Im Arbeitsprozess bleiben

Viele Arbeitnehmende scheiden mit 60 oder bereits früher aus dem Arbeitsprozess aus. Die einen freiwillig, weil sie sich eine Frühpensionierung leisten können. Die andern, weil sie ihre Stelle verlieren oder vom Unternehmen dazu gedrängt werden. Gerade bei älteren Angestellten, die unfreiwillig ausscheiden, sind Weiterbildungen und Umschulungen zentral, um fit für den Arbeitsmarkt zu bleiben.

Doch das allein genügt nicht. Die Verantwortlichen in den Unternehmen müssen umdenken. Denn trotz Fachkräftemangel werden ältere Kandidaten bei der Rekrutierung benachteiligt. Dieser Meinung sind in der Deutschschweiz zwei Drittel der von Rundstedt befragten HR-Manager; im Tessin und der Westschweiz sind es gar über 80 Prozent. Und fast die Hälfte der Befragten hat noch immer Vorbehalte gegenüber Bewerber*innen, die 58-jährig oder älter sind.

So bleiben Angestellte länger im Unternehmen

  • flexible Arbeitszeitmodelle und Teilzeitangebote
  • freie Wahl des Arbeitsortes
  • strategische Personalplanung, die ältere Arbeitskräfte gezielt berücksichtigt
  • Bildung von generationenübergreifenden Teams
  • Anpassung der Arbeitsinhalte (vermehrter Einsatz als Berater oder Expertinnen)
  • Anpassung der Arbeitsverhältnisse (Einsatz als Freelancer oder externe Projektmitarbeitende).

Über das Rentenalter hinaus arbeiten

Viele Angestellte möchten eigentlich über das Pensionsalter hinaus berufstätig sein. Das Beratungsunternehmen Deloitte geht von 40 Prozent der 50- bis 70-Jährigen aus, die länger arbeiten möchten. Hochgerechnet auf alle Erwerbstätigen entspricht dies gegen 600'000 Personen.

Tatsächlich arbeiten deutlich weniger Angestellte über das Rentenalter hinaus – laut dem Bundesamt für Sozialversicherung rund 90'000 Personen. Das hat auch mit den geltenden Anreizen zu tun. Wer heute in der Schweiz länger arbeitet, bezahlt weiterhin Beiträge an die AHV, IV und EO. Eine Gegenleistung gibt es dafür nicht - die Höhe der Rente bleibt unverändert. Dies wird mit der jüngsten AHV-Reform etwas korrigiert: Ab Anfang 2024, wenn die Reform in Kraft tritt, können Personen mit tiefem Einkommen oder mit Beitragslücken ihre Renten aufbessern, wenn sie nach 65 arbeiten und AHV-Beiträge einzahlen.

Den Fachkräftemangel entschärfen

Mit gezielten Weiterbildungsprogrammen, staatlicher Unterstützung für die Kinderbetreuung und neuen Anreizen für ältere Arbeitnehmende stehen die Instrumente zur Verfügung, den Fachkräftemangel zu entschärfen. Gefordert sind die Unternehmen und die Politik. Es ist an ihnen, zukunftsfähige Lösungen umzusetzen.

Autor*in

Hansjörg Schmid

Hansjörg Schmid

Mitglied werden und profitieren

Werde Mitglied von Angestellte Schweiz und schliesse dich unseren 12'000 Mitgliedern an.