«Es ist kompliziert» – Frauen und technische Berufe in der Schweiz

Frauen interessieren sich für MINT-Fächer und -Berufe. Trotzdem sind sie in der Minderheit. Über die Hintergründe und ein Lösungsvorschlag: Ein Gastkommentar von Dr. Nora Escherle, Geschäftsführerin des Schweizerischen Vereins der Ingenieurinnen (SVIN).

Worum es nicht geht und warum

In diesem Beitrag geht nicht um die Fragen, ob (und falls ja, warum) Frauen qua Geburt (biologisch oder genetisch bedingt) grundsätzlich

  • weniger geeignet sind für MINT*-Berufe oder
  • geringeres Interesse haben an MINT-Berufen.

Es gibt viele Erörterungen und Studien, die sich diesem Thema und verwandten Fragestellungen widmen. Bis zum heutigen Tag gibt es, soweit ich weiss, zu den Fragen keine endgültigen, eindeutigen wissenschaftlichen Ergebnisse. Anstatt mich also an der Diskussion dieser Fragen zu beteiligen, fokussiere ich mich in diesem Text auf die Fakten und darauf, welche Handlungsoptionen sich in der aktuellen Lage bieten.

Was sind MINT-Berufe?

MINT: Abkürzung für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.

Frauen in MINT-Berufen: Die Fakten

Nicht nur gibt es in der Schweiz Frauen, die sich offenbar für MINT-Fächer und -Berufe interessieren (entsprechende Schulfächer wählen, eine Ausbildung oder ein Studium im MINT-Bereich beginnen). Diese Frauen sind offenbar auch durchaus geeignet für diese MINT-Berufe (absolvieren entsprechende Ausbildungen und Studiengänge, arbeiten in MINT-Berufen, lehren MINT-Studienfächer, haben leitende Positionen in der Wirtschaft oder gründen gar eigene Unternehmen). Auch scheint es, als seien sich junge Frauen vermehrt bewusst, dass Forschung, Produkte und Dienstleistungen in MINT-Bereichen für die Gestaltung der aktuellen und zukünftigen Lebensrealität aller Menschen hochrelevant sind und sie daran teilhaben möchten.

Auf der anderen Seite erachten Schweizer MINT-Unternehmen und -Forschungseinrichtungen Frauen vermehrt als grosse, weitgehend noch ungenutzte, und potenziell sehr wertvolle personelle Ressource und realisieren zunehmend, dass sie aktiv werden müssen, um diese Ressource langfristig nutzbar zu machen. Angesichts von zunehmendem Fachkräfte-Mangel und der Einsicht, dass diverse Teams einen signifikanten ökonomischer Mehrwert bedeuten können, liegt es auf der Hand, dass Wirtschaft und Forschung es sich nicht leisten können, das Potenzial einer ganzen Gesellschaftsgruppe zu vernachlässigen.

Ja, auch in der Schweiz sind Frauen in technischen Ausbildungen, Studiengängen und Berufen weiterhin (noch) deutlich in der Minderheit. Doch es gibt sie! Und es sollte von höchstem Interesse sein, diese gut ausgebildeten Frauen in den MINT-Berufen zu halten. Fakt ist nämlich leider auch, dass Frauen mit MINT-Berufen vergleichsweise häufig, spätestens nach dem ersten Kind, ihr Pensum signifikant reduzieren oder gar völlig aus dem Arbeitsmarkt verschwinden.

Es muss sich etwas tun in der Firmenkultur

Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen tief. Von den in der Schweizer Gesellschaft tief verankerten, nach wie vor hochwirksamen, Geschlechterstereotypen bis zu den etablierten Firmenkulturen. Diese Firmenkulturen spiegeln und reproduzieren die vorherrschenden Geschlechterstereotypen durch firmeninterne Strukturen, Prozesse und Verhaltensweisen. Ein paar Beispiele gefällig? Voilà:

  • Stellenausschreibungen sind selten geschlechtsneutral (auch inhaltlich)
  • Geringschätzung/ Abwertung vermeintlich typisch weiblicher Emotionen
  • Beförderung von Ähnlichem und nach «Bauchgefühl» (Männer befördern Männer)
  • Ungleicher Lohn für Frauen und Männer
  • Kaum Aufstiegsmöglichkeiten in Teilzeit, Präsenzkultur
  • Reduktion von Frauen auf ihr Aussehen, Unterschätzen von Frauen, Aberkennung von Leistung
  • Sexistische Sprüche / Witze, abschätziges Sprach- und Kommunikationsverhalten (z.B. ins Wort fallen)
  • Ausschluss durch Wahl der Small-Talk-Themen und Seilschaften unter Männern («Feierabendbier»)
  • Vaterschaftsurlaub wird oft als Ausnahme dargestellt und selten eingefordert

Was man / frau dagegen tun kann? Viel! Der erste Schritt ist, dass Firmenleitungen anerkennen, dass es gewisse kulturelle und strukturelle Missstände gibt, dass diese angegangen werden müssen, um langfristige positive Veränderung zu bewirken, und dass dies viel Ausdauer und Einsatz braucht – denn Kulturwandel braucht vor allem eines: Zeit.

Ein Plädoyer für Frauen-Netzwerke

Doch nicht nur Firmenleitungen können (und müssen) etwas tun. Frauen in MINT-Ausbildungen, -Studiengängen und -Berufen sind häufig in der Minderheit. Umso wichtiger ist es, sich Verbündete zu suchen, die einen dabei unterstützen, die eigene Situation bewusst zu reflektieren, aktiv zu gestalten und zu verbessern. Das können und sollten selbstverständlich auch männliche Kommilitonen oder Kollegen sein.

Doch auch sich mit anderen MINT-Frauen zu vernetzen und auszutauschen hat immensen Mehrwert: Indem frau Erfahrungen teilt, kann sie beispielsweise realisieren, dass sie mit ihren Wahrnehmungen und Einschätzungen von Situationen nicht allein ist – ein enormer Boost für das Selbstvertrauen!

Tipps für mögliche Verhaltensweisen in konkreten heiklen Situationen austauschen und Kontakte ausserhalb der eigenen firmeninternen „Blase“ herstellen, eröffnet Handlungsoptionen und Perspektiven. Nicht zuletzt verschafft das Vernetzen untereinander den eignen Anliegen Sichtbarkeit und Validität und verleiht der eigenen Stimme Kraft.

Worauf wartet ihr also, liebe MINT-Frauen?

Erfahre mehr über SVIN

SVIN ist ein Netzwerk für den Erfahrungsaustausch und die Karriereförderung.

Die Schweizerische Vereinigung der Ingenieurinnen SVIN ist ein gesamt­schweizerischer Verein zur Förderung der Frauen in MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik).

https://www.svin.ch/

SVIN-Arbeitsmarktprogramms "Kultur-Wegweiser"

Autor*in

Dr. Nora A. Escherle

Dr. Nora A. Escherle

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Thema
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